Magazin / Reportagen 
Jugendliche fotografieren sich vor dem Hafen © GWA St. Pauli | Gesa Becher

Über die Medienarbeit mit Geflüchteten: Gesa Becher (GWA St. Pauli)

In Hamburg bieten viele Vereine und Institutionen Medienprojekte für und mit Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung an. Das Mediennetz Hamburg hat sich umgehört, welche Angebote es gibt und was sie für Potentiale und Ziele haben. In einer Serie stellen wir einige Projekte in einer kleinen Auswahl vor.

Mediennetz Hamburg: Stelle dich doch bitte kurz vor: wer bist du und was machst du?

Gesa Becher: Mein Name ist Gesa Becher. Ich habe an der Hamburger Uni Erziehungswissenschaften und später, neben meiner Tätigkeit als Sozialarbeiterin, an der HAW Hamburg Kommunikationsdesign studiert. Vor ca. 10 Jahren habe ich im Rahmen eines Projekts meinen ersten Film mit jungen Geflüchteten realisiert. Im Film haben die Beteiligten über ihr Leben mit einer Duldung in Deutschland berichtet. Sie wollten über diesen prekären Status aufklären und auch davon erzählen, welche psychischen Spuren eine Duldung über die Jahre hinterlässt. Das Filmprojekt war ein voller Erfolg. Sowohl für die Beteiligten, die über die gemeinsame Arbeit viel gelernt und positive Erfahrungen gemacht haben, als auch als Film an sich. „Ungeduldig“ wurde unzählige Mal an Schulen und bei politischen Veranstaltungen gezeigt. Er läuft eigentlich bis heute. Ich habe dann immer wieder mit unterschiedlichen Gruppen und Teams Filme zum Thema Flucht und Ankommen realisiert. Alle Drehbücher basierten auf den Lebenserfahrungen von jungen Geflüchteten und sie haben auch die Kamera geführt und vor der Kamera agiert. An den öffentlichen Erfolg von „Ungeduldig“ konnte keiner der Filme anknüpfen, aber die positiven Erfahrungen mit dem Medium in den unterschiedlichen Filmteams waren immer ähnlich. Heute haben die Themen Flucht und Integration natürlich auch einen viel höheren Stellenwert in den Medien als damals.

Mediennetz Hamburg: Wie engagiert sich deine Einrichtung beziehungsweise dein Projekt für Heranwachsende mit Flucht-/Migrationserfahrung und welche Angebote gibt es in diesem Bereich konkret?

Heute arbeite ich auf einer Projektstelle für die GWA St. Pauli. In dem Projekt „Mohalla“ geht es darum, junge Geflüchtete beim Ankommen in Hamburg zu unterstützen. Weil wir es können, kommen bei uns Medien zum Einsatz. Damit will ich sagen, dass „Ankommen“ auf so vielen Ebenen stattfindet und eine Sportmannschaft  oder ein Kochprojekt  ebenso wichtig und richtig in diesem Zusammenhang sind. Medienarbeit kann ganz schön abstrakt sein und häufig muss man sich durchbeißen, technische Probleme lösen usw.. Anstrengung und Belohnung sind nicht so unmittelbar miteinander verbunden wie beim Sport oder beim Kochen. Aber Medienarbeit hat eben auch besondere Stärken. Und wir arbeiten sehr stark in Beziehungen. Unsere Teilnehmenden fühlen sich bei uns „zuhause“ und nutzen auch andere Angebote der GWA St. Pauli. Unsere Einrichtung ist sehr familiär und unser Stadtteilkulturzentrum hat das nötige Wohnzimmerflair.

Konkret bieten wir insbesondere in den Ferien intensive Film- und Medienworkshops an. Darüber hinaus steht den Jugendlichen, die an unseren Projekten teilnehmen, unser Medienzentrum und das Equipment für eigene Ideen zur Verfügung. Davon wird auch eifrig Gebrauch gemacht.

In den letzten Sommerferien haben wir zwei Kick Off Workshops zu „Yalla – Rein in die Stadt“ durchgeführt. Bereits die Idee zu diesem Projekt habe ich zusammen mit jungen Geflüchteten entwickelt. Es geht darum, dass die meisten von ihnen gar keine Infos über die vielen guten Angebote und Orte in der Stadt haben. Flyer und auch Infos im Internet sind meistens sehr textlastig und wenig anschaulich. Was passiert wirklich in einem – sagen wir – „inklusiven Tanzprojekt“, wo „alle willkommen“ sind? Wer geht da hin? Wer leitet es an? Wie sieht es da aus? In den Kick Off Workshops haben wir ausprobiert, anschauliche Videos mit wenig Sprache zu produzieren und sie über Social Media Kanäle an die Zielgruppe zu bringen. Wir haben viel gelernt und auch viel Spaß zusammen gehabt. Nach den Sommerferien wollen wir als Redaktion weiter arbeiten. Darüber bin ich sehr glücklich, denn das heißt schließlich, dass da irgendetwas funktioniert hat.

Mediennetz Hamburg: Was ist das Ziel des Projektes?

Unser Ziel ist es, dass mehr geflüchtete Jugendliche, bzw. junge Erwachsene in die außerschulischen, soziokulturellen und sozialen Angebote finden und sie sich Hamburg einfacher selbstständig erschließen können. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten. Wie gut „Yalla – Rein in die Stadt“ funktioniert, hängt letztlich auch von der Community ab. Wir probieren das jetzt mal mit den Videos und hoffen, dass sie sich verbreiten. Wir hätten gern auch noch eine Website mit Karte, wo die Videos mit den Orten und Infos verlinkt sind. Daran arbeiten wir als nächstes.

Wichtig ist mir vor allem, dass diejenigen, die sich bei Yalla engagieren, auch selber profitieren. Das hat in den Kick Off Workshops sehr gut funktioniert. Neue Freundschaften sind entstanden und neue Orte wurden erkundet. In der Whatsapp-Gruppe werden immer noch Infos geteilt, Scherze gemacht und Verabredungen getroffen. Ganz unabhängig vom pädagogischen Team. Eine Clique geht jetzt z. B. immer zusammen zum Salsa tanzen. Wenn wir nur etwas von der Energie der Whatsapp-Gruppe weitertragen könnten, wäre schon eine Menge bewegt!

Mediennetz Hamburg: Wie wichtig ist euer Angebot für die Heranwachsenden mit Flucht-/Migrationserfahrung? Welche gesellschaftliche Bedeutung hat das Projekt?

Wie ich eingangs schon meinte, ist es kein Alleinstellungsmerkmal von Medienpädagogik, die Sprachkompetenz und die Persönlichkeit zu fördern und Teilhabe zu gewährleisten. Das Wichtigste ist sowieso erstmal, mit seiner Persönlichkeit, so wie sie ist, und seinen vorhandenen Fähigkeiten irgendwo richtig zu sein und akzeptiert zu werden und einen positiven Beitrag leisten zu können. Das ist für mich die Basis für jegliche Pädagogik und ich versuche meine Medienprojekte darauf aufzubauen.

Mediennetz Hamburg: Was nehmen die jungen medieninteressierten Teilnehmehmenden mit?

Es passiert immer sehr viel und ich glaube auch, dass die Projekte einen positiven Beitrag dazu leisten, dass sich Dinge für die Teilnehmenden in eine gute Richtung bewegen. Aber meistens habe ich keine Zeit für eine richtige Evaluation. Natürlich lasse ich mir ein Feedback geben. Ansonsten glaube ich ja, dass Menschen sich in erster Linie selber bilden und wir sie dabei lediglich unterstützen. Bei marginalisierten Gruppen ist neben der eigentlichen Bildungsarbeit besonders wichtig, ihnen Zugänge zu eröffnen, Netzwerke zu schaffen.

Ich versuche immer längerfristig mit den Teilnehmenden in Kontakt zu bleiben und z. B. gemeinsam zu Veranstaltungen zu gehen, wo der Film präsentiert wird, damit sie mitbekommen, welche Relevanz ihre Arbeit hat. Vielleicht halte ich aber auch so lange Kontakt, weil auch ich neugierig darauf bin, zu erfahren, welche Relevanz meine Arbeit hat… so als Langzeitevaluation.

Das Thema Berufsorientierung ist für mich immer etwas zwiespältig. Ich freue mich natürlich, wenn sie Spaß an der Medienproduktion entwickeln, aber gleichzeitig versuche ich auch, ein realistisches Bild von der Branche zu zeichnen. Für viele junge Geflüchtete gilt, dass ihre Chancen auf einen gesicherten Aufenthalt in Deutschland mit ihrer Berufsausbildung zusammenhängen. Es ist sehr wichtig, dass sie in eine Richtung gehen, in der sie nach der Ausbildung sicher übernommen werden, im besten Fall, einen Beruf ergreifen, in dem Fachkräftemangel herrscht. Es einfach mal zu versuchen – ein Tipp, den ich eigentlich jungen Menschen immer geben würde – ist keine gute Option, wenn beim Scheitern eine Abschiebung droht.

Mediennetz Hamburg: Was sind die Besonderheiten der medienpädagogischen Arbeit mit dieser Zielgruppe? 

Medienprojekte erfordern meistens viel Kommunikation in der Gruppe. Es ist wichtig einzuberechnen, dass das Thema Kommunikation in einer Gruppe von Menschen, die gerade erst anfangen, Deutsch zu lernen, einfach mehr Zeit in Anspruch nimmt. Da das Sprachniveau meistens auch sehr unterschiedlich ist, sollte das pädagogische Team darauf achten, dass sich trotzdem alle gleichberechtigt einbringen können. Wir spielen zwischendrin immer mal wieder Gruppenspiele, um die Anstrengung rauszunehmen, denn es ist immer anstrengend, sich mit einer Zweitsprache verbal einzubringen. Darum wäre ein weiterer Tipp, auch die jeweiligen Herkunftssprachen einzubeziehen. Für den Spracherwerb ist es z. B. ja nicht unbedingt zwingend notwendig, auch gleich in Deutsch zu schauspielern. Aber am wichtigsten finde ich, genau zuzuhören und hinzuschauen und bei Konflikten und Störungen, Zuschreibungen zu vermeiden. Geflüchtete sind keine homogene Zielgruppe.

Mediennetz Hamburg: Vielen Dank für das Interview!