Was macht eigentlich... eine Medienwissenschaftlerin?
Das Mediennetz hat mit Joan Kristin Bleicher über ihre Arbeit, neueste Erkenntnisse und Schwierigkeiten der Medienbranche gesprochen

Joan Kristin Bleicher ist seit 2007 Professorin für Medienwissenschaft am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Das Mediennetz sprach mit ihr über ihre Arbeit, neueste Erkenntnisse und Schwierigkeiten der Medienbranche

Mediennetz Hamburg: Frau Bleicher, wie sind Sie an die Uni Hamburg gekommen und was machen Sie hier?

Joan Bleicher: Ich habe in Giessen, Bloomington, Indiana und in Siegen komparatistische Literaturwissenschaft (Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, Anm. d. Red.), Amerikanistik und Germanistik studiert.. Nach meinem Studium habe ich das Angebot bekommen, in einem Sonderforschungsbereich zu arbeiten, der sich mit der Geschichte des deutschen Fernsehens befasst. An der Uni in Marburg habe ich auch im Bereich Medienwissenschaft unterrichtet und geforscht und bin dann nach Hamburg in ein Forschungsprojekt zur Fernsehentwicklung der 90er Jahre gewechselt, wo ich seit 2001 Professorin für Medienwissenschaft mit dem Fokus auf Fernsehen und Onlinemedien bin. Im Moment bereite ich ein Seminar zu deutschen Serienadaptionen von US-Serien vor.

Welche Aufgabe hat denn die Medienwissenschaft beziehungsweise wozu werden Medienwissenschaftler/innen gebraucht?

Medienwissenschaft bietet eine kritische Reflexion von Medienentwicklung, eine Einschätzung künftiger Medienentwicklung und man kann sich über Angebotsentwicklung und ihre historischen Ursprünge informieren, was natürlich nicht nur für Studierende, sondern auch für Praktiker interessant ist. Häufig ist gerade in der Praxis ein fehlendes historisches Bewusstsein zu beobachten, was dazu führt, dass Formatentwickler Senderanstalten etwas als neu anbieten, was aber schon lange nicht mehr neu ist. Da ist Medienwissenschaft natürlich auch eine wichtige Quelle für die eigene Programmplanung.

Was finden Sie an Ihrem Beruf reizvoll?

Reizvoll ist aus meiner Sicht, auf der einen Seite die aktuelle Medienentwicklung begleiten zu können, andererseits aber auch historische Ursprünge von Medienentwicklungen in die Analyse einzubeziehen sowie die Verbindung von Forschung und Lehre.

Was sind genau Ihre Schwerpunkte, worauf haben Sie sich thematisch spezialisiert?

Ich beschäftige mich mit aktuellen Entwicklungen im Bereich Fernsehen und den historischen Ursprüngen. Gerade bin ich dabei, ein Buch zu schreiben über das Format „Spektrum des Reality-TV“, also das sogenannte Realitätsfernsehen. Aber auch die Ursprünge interessieren mich: wo kommen die Konzepte her? Ein weiterer Bereich, den ich sehr spannend finde, sind TV-Movies. Das sind Fernsehfilmproduktionen kommerzieller Anbieter, die eine ganz eigene Struktur und Dramaturgie haben. Im Bereich Online beschäftige ich mich mit Erscheinungsformen des Internetfernsehens. Es gibt eine Reihe von Sendern, die ausschließlich im Internet senden und gar nicht mehr im normalen Fernsehen. Youtube und Youtube-Genres interessieren mich auch sehr.

Was sind denn beim Internetfernsehen Ihre neuesten Erkenntnisse?

Da ist natürlich interessant, dass sich neue Anbieter im Markt etablieren und versucht wird, neue Angebotsformen zu entwickeln. Es hat sich ein eigenes Starsystem herausgebildet, von Stars die nur aus dem Onlinebereich bekannt sind und weniger aus dem Fernsehen. Dann sind natürlich aber auch die Gegenstrategien des traditionellen Fernsehens erkennbar. Einerseits der Versuch, die neuen Internetstars wieder in das eigene Programm zu integrieren und natürlich aus Youtube-Videos eigene Programmangebote zu machen. Die Wechselwirkungen zwischen beiden Bereichen nehmen zu.

Hat sich Ihre Arbeit im Laufe der letzten Jahre verändert?

Die Arbeit selber, also die Forschung und Lehre, hat sich nicht verändert, bloß sind die Bedingungen an der Uni Hamburg sehr schlecht. Wir sind seit Jahren chronisch unterfinanziert und der Studiengang ist stark überlaufen, was natürlich zur Verschlechterung der Bedingungen führt. Es gibt eine Reihe von Problemen, die eher etwas mit einer sehr problematischen Universitätsentwicklung zu tun haben. Unsere Fakultät hat jetzt zum Beispiel gerade beschlossen, dass es keine Doktorandenstellen mehr geben soll. Alle Mitarbeiterstellen werden gestrichen und nicht neu besetzt. Wer jetzt promovieren will, hat nicht mehr die Möglichkeit, an der Uni zu arbeiten, sondern muss das entweder über ein Stipendium regeln oder sich frei finanzieren.

Etwas „mit Medien zu machen“, ist ja für viele ein Traum. Welche Möglichkeiten bieten sich denn einem Absolventen nach dem Studium der Medienwissenschaften?

Es ist sehr unterschiedlich. Viele machen sich mit eigenen Unternehmen selbständig, entwickeln eigene Formate oder sind im Bereich Onlineangebote aktiv. Man kann natürlich auch in Redaktionen arbeiten, da muss man aber vorher ein Volontariat absolvieren. Es gibt die Möglichkeit, bei Produktionsfirmen zu arbeiten, sowohl im Film- und Fernsehbereich. Unsere Absolventen sind da sehr breit aufgestellt und finden sich in unterschiedlichen Bereichen. Einige arbeiten auch im Bereich Onlinefernsehen und Onlinefilmproduktion.

Wie schätzen Sie die beruflichen Perspektiven für die Absolventen ein?

Ganz unterschiedlich. Es hängt ein bisschen von der Bereitschaft ab, sich auch schon während des Studiums praktisch zu engagieren und natürlich ist das Berufsbild nicht mehr so wie früher. Man muss flexibel sein, mehrere Arbeitgeber in seine berufliche Perspektive einbeziehen und damit rechnen, entweder zu wechseln, oder auch selbständig zu sein, also ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Was denken Sie, warum begeistern sich so viele Menschen für den Medienbereich?

Ich glaube, das ist etwas, was für sie omnipräsent ist und sie sehen nur die eine Seite, also zum Beispiel die Seite auf dem Bildschirm oder die Angebotsseite. Was sie nicht sehen, sind die Arbeitsbedingungen dahinter. Sie haben konstruierte Vorstellungen von dieser Medienwirklichkeit, die gar nicht übereinstimmen. Sie können zum Beispiel nicht begreifen, dass wirklich bekannte Schauspieler Hartz 4 Empfänger sind, weil sie nicht genug Rollen bekommen und der Verdienst sowohl im Bereich Schauspiel, als auch zum Beispiel im Drehbuch äußerst begrenzt ist. „Was mit Medien machen...“ ist genau das, was ich immer zu hören bekomme, wenn Leute studieren wollen, die auch überhaupt keine Ahnung haben, welche Berufsbilder es gibt und dann die Vorstellung haben, damit reich und berühmt zu werden. Das sind völlig irreale Vorstellungen und ganz fehlende Kenntnisse aus dem Bereich der Produktion. Also über die ganzen Ausbildungswege bestehen überhaupt keine Kenntnisse.

Gibt es alternative praxisorientierte Studiengänge für Medieninteressierte, die Sie empfehlen können?

Was aus meiner Sicht deutlich unterschätzt wird, sind die Fachhochschulstudiengänge oder die Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW), die deutlich näher an der Produktion sind und wo auch die Arbeitsplatzchancen viel besser sind. Es gibt zum Beispiel den Studiengang Beleuchtung an der HAW, bei dem sich die Studenten immer fragen, was das denn soll. Dabei ist diese unglaublich gefragt und unglaublich wichtig für die Produktion. In jeder Unterhaltungsshow, wie z.B. „Wer wird Millionär?“, kommt es auf die Lichtsetzung an und ich glaube, für die Ausbildung sind solche Spezialisierungen einfach besser. Oder auch Filmhochschulen mit Regieausbildungen, Produktionsausbildungen, wie zum Beispiel auch hier an der Hamburg Media School. Ich glaube, die Studenten sollten den Blick von der Uni mal ein bisschen weg lenken hin auch zu wirklich praxisorientierte Fachhochschulstudiengängen.

(LARA JANUSZEWSKI, DOREEN KIRSCHNER)

Prof. Dr. Joan Bleicher