Neue bundesweite Studie: Jede zweite Person zieht sich wegen Hass im Netz zurück

Mehr als die Hälfte der Internetnutzer*innen bekennt sich aus Angst vor Hass im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung und beteiligt sich weniger an Diskussionen. Besonders für junge Frauen sind sexualisierte Übergriffe in den sozialen Netzwerken Alltag. Auch Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen sind dort vermehrt Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Das ergibt die am 13. Februar 2024 veröffentlichte, repräsentative Studie „Lauter Hass - leiser Rückzug“. Die Erhebung wird von Das NETTZ, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz herausgegeben. Die vier zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern, dass Politik und Plattformen jetzt zügig handeln.

Die Erhebung ist die in Deutschland seit 2019 umfangreichste Untersuchung zu Wahrnehmung, Betroffenheit und Folgen von Hass im Netz. Befragt wurden mehr als 3.000 Internetnutzer*innen in Deutschland ab 16 Jahren. Die wichtigsten Ergebnisse:

Hass im Netz kann alle treffen. Aber nicht alle gleich. Fast jede zweite Person (49 %) wurde schon einmal online beleidigt. Ein Viertel (25 %) der Befragten wurde mit körperlicher Gewalt und 13 % mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. Besonders häufig betroffen sind nach eigenen Angaben Personen mit sichtbarem Migrationshintergrund (30 %), junge Frauen (30 %) und Menschen mit homosexueller (28 %) oder bisexueller (36 %) Orientierung. Fast jede zweite junge Frau (42 %) erhielt bereits ungefragt ein Nacktfoto.

Hass im Netz führt zum Rückzug aus demokratischen Diskursen. Mehr als die Hälfte der Befragten bekennt sich aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung (57 %), beteiligt sich seltener an Diskussionen (55 %) und formuliert Beiträge bewusst vorsichtiger (53 %). 82 % der Befragten fürchten, dass Hass im Netz die Vielfalt im Internet gefährdet. Mehr als drei Viertel (76 %) sind besorgt, dass durch Hass im Netz auch die Gewalt im Alltag zunimmt. Der Großteil (89 %) stimmt zu, dass Hass im Netz in den letzten Jahren zugenommen hat. Nur 5 % hat schon einmal Hass gegen sich selbst bei der Polizei angezeigt.

Plattformen müssen Verantwortung für Hass im Netz tragen. 86 % der Befragten finden, dass Social-Media-Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen. 79 % stimmen der Aussage zu, dass diese Plattformen auch finanzielle Verantwortung für die durch Hass im Netz entstehenden gesellschaftlichen Schäden tragen sollten.

Die Herausgeber*innen der Studie fordern daher bessere Unterstützung für Betroffene von Hass im Netz. Es brauche ein bundesweites Netzwerk von spezialisierten Beratungsstellen sowie geschulte Strafverfolgungsbehörden, die Betroffene ernst nehmen und nicht abweisen. Denn die Studie zeigt: Bislang nehmen Menschen, die Hass im Netz erleben, institutionelle Angebote nur in wenigen Fällen wahr. Notwendig sei daher die konsequente Anwendung bestehender Gesetze im Internet. Der europäische Digital Services Act (DSA) müsse schnell umgesetzt werden. Von Social-Media-Plattformen verlangen sie ein konsequentes Vorgehen gegen Hass sowie Verstöße gegen den Jugendmedienschutz. Für die durch Hass und Desinformation verursachten gesellschaftlichen Schäden müssten insbesondere sehr große Online-Plattformen künftig auch finanziell Verantwortung übernehmen. Außerdem fordern die Organisationen eine nationale Bildungsoffensive Medienkompetenz, die mit Mitteln in mindestens gleichwertiger Höhe des Digitalpakts von Bund und Ländern (6,5 Milliarden Euro) ausgestattet werden sollte. Zudem müssten die Zivilgesellschaft besser gefördert und Hassdynamiken im Netz kontinuierlich erfasst werden.  

Weitere Informationen und Download der Studie: Den Volltext zur Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug. Wie Hass im Netz den demokratischen Diskurs bedroht“ gibt es hier.


Über die GMK

Die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e. V. (GMK) setzt sich für die Förderung einer ganzheitlichen, umfassenden Medienpädagogik und Medienkompetenz ein. Hierbei gilt es, soziale, ethische, kulturelle, kreative und politische Aspekte mit technischen Kompetenzen und Voraussetzungen zu verknüpfen. Sie wurde 1984 als bundesweiter Zusammenschluss von Fachleuten aus den Bereichen Bildung, Kultur und Medien gegründet. Als gemeinnütziger Verein und größter medienpädagogischer Fachverband für Institutionen und Einzelpersonen ist die GMK Plattform für Diskussionen, Kooperationen und neue Initiativen. Die Geschäftsstelle mit Sitz in Bielefeld koordiniert die Aktivitäten sowie die Außenvertretung der GMK.

Seit 2023 ist die GMK fünfter Träger im Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz und vertritt insbesondere die medienpädagogische Perspektive im Netzwerk und nach außen. Schwerpunkte liegen in Bedarfsanalysen unter Fachkräften und Betroffenen, der Jugend(bildungs)arbeit zum Themenfeld Hass im Netz, der Weitergabe von Informationen und der Vernetzung sowie der Entwicklung handlungsorientierter medienpädagogischer Methoden und Materialien.

Über das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz:

Die neue Studie zu Hass im Netz wird von den Organisationen Das NETTZ, der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, HateAid und den Neuen deutschen Medienmacher*innen als Teil des Kompetenznetzwerks gegen Hass im Netz herausgegeben. Die wissenschaftliche Umsetzung erfolgte durch die pollytix strategic research GmbH. Das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz ist ein Zusammenschluss von fünf Organisationen, die sich gegen Hassrede und Gewalt im digitalen Raum engagieren. Das Kompetenznetzwerk informiert als zentrale Anlaufstelle alle, die beim Thema Hass im Netz Orientierung brauchen, Hilfe suchen, sich engagieren, darüber berichten oder sich weiterbilden wollen. Das Kompetenznetzwerk wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundesprogramm „Demokratie leben!“, der Robert Bosch Stiftung und der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. 

| © Das NETTZ | Stefanie Loos