Magazin / Reportagen 

"Es geht nicht nur um Fachwissen, sondern auch um politische und kulturelle Bildung"

Die Hamburg Media School bietet ein Weiterbildungsprogramm für Medienschaffende mit Fluchtgeschichte an. Mit dem Projekt-Koordinator Yampier Aguiar Durañona hat das Mediennetz Hamburg über das Projekt und die Chancen nach der Weiterbildung gesprochen. Bewerbungen sind bis zum 15. August 2018 möglich.

Mediennetz Hamburg: Stellen Sie sich doch mal kurz vor, wer sind Sie und was machen Sie?

Yampier Aguiar Durañona:  Ich bin Yampier Aguiar Durañona, Journalist aus Kuba. Seit 2012 lebe ich in Deutschland. Nach meinem Journalismus-Studium an der Universität Havanna eignete ich mir erste Eindrücke der deutschen Medienwelt in der Redaktion von TIDE aktuell an. Inzwischen erstellte ich als freier Journalist eine Podcastdokumentation für die Migrations- und Flüchtlingsberatung in Norderstedt. Für das Programm „Freunde der ZEIT“ bin ich für die Postproduktion der wöchentlichen Podcastreihe „Die Geschichte hinter der Geschichte“ verantwortlich.  Darüber hinaus leite ich Workshops im Bereich Radio, Podcasting, Online Journalismus und Interview, unter anderem in der TIDE Akademie. Seit April koordiniere ich die gebührenfreie Weiterbildung für Medienschaffende mit Fluchtgeschichte (DMF) bei der Hamburg Media School.

Was genau ist das Weiterbildungsprogramm Digitale Medien für Flüchtlinge?

Die Weiterbildung soll Medienschaffenden mit Fluchtgeschichtesowohl die Möglichkeit bieten, über ein vielseitiges Angebot sowohl Kontakte zu knüpfen, als auch einen Einblick in die deutsche Medienlandschaft zu erhalten und so eine nachhaltige Integration unterstützen. Es eröffnet Geflüchteten mit medialem Vorwissen eine Perspektive als Medienschaffende – in Deutschland oder als Rückkehrende in ihrem Herkunftsland. "Digitale Medien für Flüchtlinge" ist ein halbjähriges, modulares Kursprogramm mit anschließendem Praktikum in einem Hamburger Medienunternehmen, bzw. einer Filmproduktion. 

Die Umsetzung der beruflichen Weiterbildung wird je zur Hälfte aus dem Integrationsfonds der Hamburgischen Bürgerschaft und aus Spenden finanziert. Für die Vermittlung von Praktika kooperieren wir mit dem ESF-geförderten Projekt FLUCHT.ort Hamburg 5.0 (passage gGmbH). 

Wer ist die Zielgruppe, wer kann teilnehmen? 

Das Programm wendet sich an Medienschaffende, die ihre Herkunftsländer verlassen mussten und denen wir auf der Suche nach einer Berufsperspektive im Bereich Medien zur Seite stehen. Ich wurde neulich gefragt, ob die Weiterbildung auch für Neueinsteiger geeignet sei. Wenn die Person eine Hochschuleignung hat und sich in der "Medienwelt" einige Vorkenntnisse angeschafft hat, lohnt sich eine Bewerbung auf jeden Fall. Es handelt sich dabei ausdrücklich um eine Weiterbildung, weder um ein Studium noch um eine Ausbildung.

Wie viele Bewerber gibt es, wie funktioniert das Auswahlverfahren? 

Die Zahl der Bewerber variiert. Diejenigen, die eine wirklich aussagekräftige Bewerbung einsenden, werden auch fast alle zu einem Gespräch eingeladen. Etwa gut die Hälfte erfüllt dann auch tatsächlich alle Voraussetzungen und Kriterien und wird in unser Programm aufgenommen. Vorkenntnisse oder ein abgeschlossenes Studium sind wünschenswert, aber ich empfehle den Interessanten, sich in jedem Fall zu bewerben. Wenn sie uns gut überzeugen können, eine ernsthafte Motivation haben und sich wirklich in dem Bereich weiterentwickeln möchten/können, haben sie auch mit weniger Vorkenntnissen eine Chance bei uns. Bei der Bewerbung zählt neben den üblichen Nachweisen, soweit vorhanden, vor allem ein gutes Motivationsschreiben (am besten selbst geschrieben und authentisch) und ein aussagekräftiger Lebenslauf.

Der Aufenthaltsstatus ist nachrangig

Oft sind Zeugnisse oder Arbeitsproben wegen oder während der Flucht verloren gegangen. Statt auf Dokumente zu bestehen, nehmen wir uns Zeit für persönliche Gespräche und loten gemeinsam die aus unserer Sicht wichtigsten Aspekte für die Aufnahme aus: Medienerfahrung, Deutschkenntnisse und die Haltung der BewerberInnen zu Fragen von Diversität, Gleichbehandlung und Menschenrechten. Der Aufenthaltsstatus ist nachrangig.

Im Programm nehmen wir Leute auf, die die Zugangskriterien in besonderem Maße erfüllen: Sie hatten in ihren Herkunftsländern im Bereich Medien studiert oder gearbeitet, mussten aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte und Redefreiheit ihre Heimat verlassen und haben sich nach ihrer Ankunft in Deutschland - teilweise in sehr kurzer Zeit - gute Deutschkenntnisse angeeignet.

Ich schlage vor, wenn die Person unsicher ist, ob es das richtige ist, soll sie einfach mal vorbeikommen und sich selbst vorstellen. Da kann man besser einschätzen, ob sie geeignet ist oder nicht und eine Bewerbung Sinn macht.

Was genau lernen die Studierenden/Teilnehmer*innen? Was macht das Weiterbildungsprogramm so besonders?

Es geht nicht nur um Fachwissen, sondern auch um politische und kulturelle Bildung. Drehbuch, Kamera, Schauspielführung, TV- und Radiojournalismus, Projektentwicklung, Tontechnik, Medienrecht, Onlinemarketing, Finanzplanung, Fördermöglichkeiten und vieles mehr: Der Stundenplan umfasst nahezu alle Angebote der HMS und vieles mehr. Die in der Regel ein- bis drei-tägigen Seminare sind anwendungsorientiert und zielen darauf ab, den Teilnehmenden neben Fachwissen, Handwerkszeug und Methoden konkrete Unterstützung für die eigenen journalistischen oder filmischen Projekte zu geben. Neben der Vermittlung von Inhalten geht es aber immer wieder um das wohl wichtigste Pfund für Medienschaffende: Kontakte. Die HMS stattet alle DMFler*innen mit Visitenkarten aus und öffnet ihr Netzwerk.

Die Hamburg Media School ist europaweit eine der renommiertesten Schulen für Film, Journalismus und Medienmanagement. Ziel der 2016 ins Leben gerufenen Weiterbildung DMF ist es, ausgewählten Teilnehmenden mit einem sechsmonatigen Kursprogramm und einem anschließenden, mit unserer Hilfe vermittelten, dreimonatigen maßgeschneiderten Praktikum in einem Medienunternehmen oder einer Filmproduktion den Schritt (zurück) in den Beruf zu ebnen. Unterrichts- bzw. Arbeitssprache ist ausnahmslos Deutsch.

Es geht nicht nur um Fachwissen, sondern auch um politische und kulturelle Bildung

Bei der Eröffnung stellte der Initiator Richard Reitinger klar: „DMF ist kein soziales Projekt, es ist ein politisches Projekt. Es geht nicht nur um persönliche Ausbildung und persönliche Zukunft. Es geht auch darum, dass unsere Teilnehmenden weiter ihre Landsleute, ihre Communities und ihre Netzwerke erreichen. Das große Ziel unseres Programms ist, gemeinsam unsere gemeinsamen Werte in eine Sprache - oder in viele Sprachen - zu übersetzen, die es uns ermöglichen, mit den Menschen aus den Konfliktgebieten und bei uns zu kommunizieren, auch zu streiten, aber mit geistigen Waffen im demokratischen Diskurs.

Ich selbst bin vor über sechs Jahren nach Deutschland gekommen und hätte mich über ein derartiges Angebot sehr gefreut. Die Möglichkeit, über einen absehbaren Zeitraum „an die Hand“ genommen zu werden und so die Möglichkeit zu haben „zu Wort zu kommen“ ist einzigartig. Letztendlich konnte ich auch über mehrere Praktika und in der Zeit geknüpfte Kontakte Fuß fassen.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen die Dozent*innen?

Die Dozenten geben ihre Kurse durchweg Pro bono, da ist die richtige Motivation natürlich Voraussetzung. Eine Herausforderung ist trotz vorhandener Deutschkenntnisse der Teilnehmenden natürlich ebenfalls die Sprache. Die Teilnehmenden bringen eine Vielzahl kultureller Hintergründe und Erwartungen mit und all diese müssen natürlich auch auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Dies führt gleichzeitig zu einer gegenseitigen Bereicherung und einer Schulung und Förderung der interkulturellen Kompetenz und Öffnung.

Dem Leiter des Programms Richard Reitinger ist es zu verdanken, dass sich zügig ein weites Netzwerk von Verbündeten aus Medien, Verwaltung und Politik entspann: Namhafte Dozentinnen und Dozenten aus der Praxis erklärten sich bereit, ihre Expertise und Zeit zu spenden. Unter anderem entsendeten der NDR, Sat.1 Nord, RTL Nord, ZDF, DIE ZEIT, Spiegel, Gruner & Jahr, Warner Bros., Loft Studios, Studio Hamburg, Cinegate und viele andere Firmen ihre CEOs und MitarbeiterInnen für Seminare und Expertengespräche. Und sie öffneten ihre Häuser für Besuche, für Austausch, für Praktika. Andere gaben Geld: Ohne diese finanziellen Zuwendungen von Firmen und Privatpersonen wäre das Programm nicht machbar.

Wenn Sie auf das Programm zurückschauen, wie lief es bisher? Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Mitte Oktober startet der 6. Durchgang. Das ist natürlich ein Erfolg und viele der Teilnehmenden sind in Deutschland mittlerweile angekommen und konnten Dank der Weiterbildung Fuß fassen. Für die Zukunft wünschen wir uns, dass die HMS das Programm auch danach weiterführen kann. Dies hängt von der Finanzierung ab; es ist weiterhin auf Spenden angewiesen – und natürlich die helfenden Hände vieler bereits fester Bestandteil des Programms gewordenen Personen.

Wie geht es mit den Teilnehmern weiter, nachdem sie das Programm abgeschlossen haben? 

DMF erwies sich für einige der Teilnehmenden schon bald als das erhoffte Sprungbrett in die deutsche Medienlandschaft: Schon während des ersten Durchgangs bot sich die Gelegenheit für die DMFlerInnen bei Panorama, RTL Nord, dbate.de oder im Medienmagazin Zapp mitzuwirken. Zehn Kolleginnen gingen zum Ende der Unterrichtsphase in Praktika zum NDR, zu Sandra Maischbergers Fernsehproduktion Vincent TV, zur Literaturagentur Keil & Keil, zu Spiegel Online und zu bento, zum Audio-Postproduktionsstudio Chaussee Soundvision und zur GEO-Bildredaktion. Für andere öffneten sich die Türen in stipendienfinanzierte Studiengänge oder in bezahlte Arbeit als Dolmetscher, Fotograf, Videokolumnistin und Dokumentarfilmerin. 

Einige Beispiele, wie es nach DMF weiterging:

Der Regisseur, Kameramann und Autor KHASHAYAR MOSTAFAVI aus dem Iran absolvierte sein DMF-Praktikum beim NDR und präsentierte seinen selbstproduzierten 90minütigen Spielfilm „Dasein“ auf mehreren internationalen Festivals unter anderem in Rio de Janeiro, Genf und Schanghai (Bester Spielfilm in Sidney, 9.2017). Postproduktion/Schnitt des Films wurde auf Vermittlung der HMS unterstützt von Gisela Gondolatsch. Seit August 2017 arbeitet Khashayar Mostafavi festangestellt beim NDR in Schwerin.

Die syrische Journalistin ROSHAK AHMAD absolvierte ihr DMF-Praktikum beim NDR und begann parallel dazu – ausgestattet mit einem Stipendium der ZEIT – ihr Studium ‚Digital Journalism’ an der HMS. Ihr Dokumentarfilm „12 Tage, 12 Nächte" wurde auf ARTE und ARD ausgestrahlt. Seit Sommer 2017 ist sie Fellow im Google News Lab-Programm und arbeitet in diesem Rahmen unter anderem im Multimedialabor des NDR.

MALIKA MUSAEVA aus Tschetschenien studierte vor ihrer Flucht fünf Jahre Regie bei Alexandr Sokurow. Aufgrund ihres herausragenden Talentes wurde sie aus dem DMF-Programm als Gasthörerin in die Meisterklasse Regie des Filmstudiengangs an der HMS übernommen.

QUAIS NOORI studierte Politikwissenschaft in Afghanistan und arbeitete als Tontechniker. Sein DMF-Praktikum absolviert er im Tonstudio Zeigermann Audio (Film-Postproduktion) und hat dort eine Ausbildung übernommen.

AHMED ALHAJOUJ: Künstler und Medienaktivist aus SYRIEN. Macht, vor seinem Kunststudium an der HfBK einen BFD als Assistent der DMF-Koordination.

Das sind nur einige Erfolgsgeschichten. Es gibt natürlich auch Rückschläge. Nicht selten passiert es, dass sich Teilnehmende, gerade wenn dann augenscheinlich endlich alles geregelt ist, mit ihrer Vergangenheit und dem Erlebten auseinandersetzen müssen, was dann notgedrungen an die Oberfläche kommt. Hierfür muss es eine Sensibilität geben und auch ein Zugeständnis, dies zulassen zu dürfen. Alles in Allem, kann DMF hier aber auch unterstützen, in dem ein geregelter Alltag vorgegeben wird und die nötige Hilfestellung für alle Lebenslagen – rückblickend findet sich ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Absolventen heute in einer Situation mit Perspektive und gerüstet mit Handwerkszeug, der Zukunft entschieden entgegen treten zu können.

Vielen Dank für das Interview!

Foto: Ahmed Alhajouj

Adressen